Mildtätigkeit war ihr Hobby. Ich meine damit meine Frau, die vor wenigen Wochen von uns ging. Meine Frau lief jedem Menschen in Not hinterher, bis die Not getilgt war. Meine Frau war sehr fleißig und zuverlässig. Unser Haushalt blitzte und das Essen schmeckte hervorragend. Wir sahen uns immer seltener, seit unsere Kinder selbständiger wurden. Wenn ich abends um 20 Uhr aus der Werkstatt kam, lag sie meist schon im Bett. Ich konnte nach der Tagesschau nur noch zusehen, wie sie sich herumdrehte und fest schlief. Wenige Tage nach der Beerdigung wurde mir von einem Rechtsanwalt ein Brief zugestellt: "Mein Liebster, wenn du diesen Brief liest, dann lebe ich nicht mehr. Ich habe unsere 20 Jahre Ehe anfangs sehr genossen und später umso mehr gelitten. Daran konnten auch die Kinder nichts ändern. So wie du dich in deiner Werkstatt verbarrikadiert hast, so ging ich im Auftrag der Kirche auf die Straße, um Menschen in Not zu helfen. Ich habe dir absichtlich meinen Brustkrebs verschwiegen, denn meine Prognose war äußerst schlecht. Ich habe vor fünf Jahren eine Lebensversicherung für dich abgeschlossen. Du findest die Police unter meiner Matratze. Bitte vernachlässige die Kinder nicht so, wie du mich vernachlässigt hast. Ich habe dich einmal geliebt. Doch dann starb diese Liebe und nun mein Körper."