Meine Mama sucht ... irrt - umher. Wenn sie nicht sucht, dann wartet sie. Wenn sie weder sucht noch wartet, dann schläft sie. Wenn sie schläft, dann träumt sie. In der Nacht schleiche ich in ihr Bett, streichle und beruhige sie. Dann schläft sie ein paar Stunden wie ein Baby. Wenn der Wecker klingelt, stehe ich auf und mache Frühstück. Bevor ich zur Schule gehe, schreibe ich Mama einen kleinen Brief und verstecke ihn in der Wohnung. Meine Mama ist nicht arbeitsfähig, weil sie entweder sucht oder wartet. Der Arzt sagt, dass sie eine seelische Krankheit hat. ICH weiß das besser. Ich bin jeden Tag mit meiner Mama zusammen! Mein Vater starb bei einem Autounfall. Meine Mama glaubt, ihn zu fühlen. Er kommt wieder! sagt sie immer wieder zu mir. Reinkarnation. Sie hat mich überzeugt - nur mich. Meine Mama darf zu Hause bleiben, wenn sie ihren Haushalt gut macht. Sie muss nicht in die Klapsmühle. Ich helfe meiner Mama, wo ich kann.
Ich glaube ja auch an Reinkarnation. Doch das Leben geht weiter! Mein Vater ist jetzt drei Jahre tot. Mama geht nie zum Grab - das mache ich alleine. Das Leben geht weiter und ich brauche neue Schuhe. Ich besorge mir welche im Second-Hand-Shop. Schuhe mit Kratzern machen mir nichts aus. Unsere Rente ist klein. Mama bekommt Witwenrente und ich Halbwaisenrente. Wir bekommen auch etwas Wohngeld. Das Geld ist knapp, aber ich habe so viel Hausaufgaben auf, dass ich keine Zeitungen austragen kann. Mama ist heute sehr unruhig. Wir waren in der Stadt, und mitten in der Fußgängerzone glaubte sie, meinen Vater gesehen zu haben. Sie fing an, zu rennen. Später waren wir in einem Café und gönnten uns mal etwas Leckeres.
Die Waschmaschine ist kaputt. Ich weiß nicht weiter. Ich frage den Nachbarn, ob er mir hilft, wenn der Monteur kommt. Er schüttelt den Kopf und macht mir die Tür vor der Nase zu. Ich rufe die Pfarrersfrau an. Sie verweist mich an die Beratungsstelle für Kinder deren Mütter psychisch krank sind. Ich rufe meine Oma an. Sie ist Mamas Schwiegermutter - doch sie legt ohne ein Wort auf. Der Monteur kommt, und ich fange an zu weinen. Ich sage, dass meine Mutter krank ist, und dass wir nur 150 € Gespartes haben ... er setzt sich auf den Badewannenrand und trocknet meine Tränen. Er repariert die Waschmaschine in einer halben Stunde und berechnet 20 € Fahrtkosten. Plötzlich scheint die Sonne wieder für uns. Ich frage ihn, ob Monteure samstags frei haben und ob er uns besuchen mag. Ich backe einen Kuchen. Meine Mutter freut sich bestimmt auch. Also dann, sagt der nette Monteur - bis Samstag!
Ein Wunder ist geschehen! Zuerst mussten wir nur 20 € für die Reparatur der Waschmaschine bezahlen und heute war ein Scheck von meiner Oma in der Post. Sie schrieb nur kurz dazu, dass ich den Scheck zur Sparkasse bringen soll. Ich bin froh, und kaufe auf Vorrat Lebensmittel ein. Der Kuchen gelingt und ich backe gleich noch einen. Vielleicht haben Monteure ja besonders großen Hunger! Mama macht sich fein. Sie zieht ihre geblümte Bluse an und schminkt sich ein bisschen. Der Kaffee ist fertig und es klingelt. Der Monteur steht mit seiner Tochter vor der Tür. Er meint, dass wir dann zusammen spielen könnten. Eine gute Idee! Ich weiß vor lauter Hausarbeit gar nicht mehr, was spielen überhaupt ist! Es wurde ein schöner Nachmittag und der Monteur Hans schrieb mir seine Telefonnummer auf. Wir würden dann zu einem Gegenbesuch eingeladen. Seit der defekten Waschmaschine haben wir eine Glückssträhne. Heute ist der große Tag! Mama geht das erste Mal aus. Hans bringt Mama zum Lachen. Das ist wundervoll. Hans meint, dass in seiner Firma eine Halbtagsstelle im Büro ist ... Ein Jahr ist vergangen und Mama hat wieder rosige Wangen. Morgen ist Hochzeitstag! Ich habe Hans gesagt, dass ich trotzdem weiter zu Papas Grab gehe. Er hat mich in den Arm genommen und gedrückt. Mama weint nicht mehr. Sie fühlt Papa nicht mehr. Sie lächelt mich an und erzählt von ihrem Traum. Sie sah Hans' Gesicht und wusste, dass ER der Neue, der Richtige ist. Ich bin froh, denn nun darf ich wieder ein Kind sein.